Köln 1794: „Sie kamen, sahen und siegten?“ – Eine Stadt wird französisch

Am 6. Oktober 1794 – dieses Datum ist in Köln sehr bekannt – kamen die französischen Truppen in die Stadt Köln, deren Vertreter die Stadtschlüssel kampflos übergaben. Köln stand ab diesem Tag unter französischer Oberhoheit und wurde in den folgenden Jahren Schritt für Schritt in den französischen Staat – ab 1804 das französische Kaiserreich unter Napoleon – eingegliedert. Gerd Schwerhoff bezeichnet diesen Tag als „einen der tiefsten Einschnitte in der Stadtgeschichte“, was auf den ersten Blick sehr nachvollziehbar erscheint, wenn man sich die unterschiedlichen Bereiche ansieht, für die die französische Herrschaft einen Wandel, ja einen regelrechten Umbruch in Köln – und mithin im ganzen linksrheinischen Gebiet des Alten Reiches bedeutete.
Doch bei genauerer Betrachtung stellt man zum Beispiel fest, dass der Rat der Stadt, der die politische Führung seit 1396 innehatte, mitnichten bereits 1794 abgeschafft wurde – erst 1797 gab es eine formelle Ersetzung des Stadtrates durch eine neue Stadtregierung nach französischem Muster. In den ersten Jahren der französischen Herrschaft ging es vor allem um die Eintreibung von Requisitionen (Ausstattung mit Gütern) für die einquartierten Soldaten und das Einziehen von zum Teil horrenden Kontributionszahlungen – die politische Umgestaltung der ganzen städtischen Gesellschaft unter den neuen Leitidealen von „Freiheit, Gleichheit und Verbrüderung“ war also rein praktisch betrachtet nicht das vorrangige Ziel der neuen Machthaber.
Anstatt also den Wechsel der Machtverhältnisse von 1794 implizit als schlagartige Veränderung vorauszusetzen, ist doch die eigentliche Frage, in welcher Weise die neue Herrschaft von 1794 für die Zeitgenossen im täglichen Leben als Umbruch erkennbar wurde, zumal dem keine militärische Auseinandersetzung vorausging: Was änderte sich konkret? Und wie wurde es der Bevölkerung vermittelt? Lassen sich Reaktionen und Konflikte rekonstruieren? Anders gefragt: Wie funktionieren eine Besatzung und ein politischer Umbau im alltäglichen Miteinander in der Stadt?
Es wäre natürlich großartig, ein umfangreiches Konvolut von Augenzeugenberichten oder Tagebüchern aus der französischen Zeit nutzen zu können, doch bis auf kursorische Ausnahmen sind solche nicht überliefert. Wir versuchen daher einen anderen Weg der Annäherung: Im Historischen Archiv der Stadt Köln gibt es einen umfangreichen Bestand mit einer dafür vielversprechenden Quellengattung: Städtische Edikte – also die Verordnungen und Erlasse des Kölner Stadtrates, die gedruckt und in der Stadt verbreitet bzw. ausgehängt wurden. Sie waren ein wichtiger offizieller Kommunikationskanal der Stadtobrigkeit mit der Bevölkerung Kölns.
Um sich das besser vorstellen zu können, schauen wir uns doch einfach das Edikt vom 7. Oktober 1794 an. Der Kölner Stadtrat hat dieses Schriftstück also lediglich einen Tag nach der Übergabe der Stadtschlüssel an die französischen Generäle und neuen Machthaber veröffentlicht:

„Andurch wird allgemein bekannt gemacht / daß von dem französischen Volks-Vertretter so wie auch von der französischen Generalität an die abgeschickte Städtische Deputation die Versicherung ertheilet worden: daß jeder Bürger und Einwohner und selbsten auch die gesammte Geistlichkeit nicht nur bei ihrem Gottes-Dienste verbleiben / und wie zeithero geschehen / darinn fortfahren, sondern auch in Ansehung ihrer Personen und Privat-Eigenthums alle Sicherheit genießen / und dabei geschüzt werden sollen; Wogegen aber auch von allen und jeden Einwohnern ein ferner ruhig und stilles Betragen erwartet wird.“
Ein wirklich aufschlussreiches Dokument! Die Bevölkerung Kölns – hier weiterhin nach Laien und geistlichem Stand geteilt – soll sich nicht um ihr Eigentum und die freie Ausübung ihrer Religion sorgen, dafür im Gegenzug aber auch möglichst ruhig und unauffällig der Dinge harren, die da kommen mögen. Auch wenn die Kommunikation sich hier nur in eine Richtung (gewissermaßen: top-down) abbildet, lässt sich die Unsicherheit der Untertanen gegenüber dem herannahenden Revolutionsheer, die sich möglicherweise auch in der Stadt bereits Luft gemacht hat, beinahe mit Händen greifen. Dass Trommelschlag und Anheftung („affigiren“) des gedruckten Ediktes „an den gewöhnlichen Orten“ verfügt wird, ist sehr interessant und pragmatisch: Möglichst alle, die sich in der Stadt aufhalten, sollen von diesem Erlass erfahren. Der Stadtrat möchte Handlungsfähigkeit und Sicherheit demonstrieren – und die Bewohner Kölns ruhig und unter Kontrolle halten.
Ein ganz praktisches Problem aus heutiger Sicht besteht nun darin, dass diese Quellen nicht gerade einfach zu „heben“ sind. Das Historische Archiv der Stadt Köln bewahrt unter der Bestandsnummer 14 eine große Zahl an Edikten in dreißig dicken Bänden mit zum Teil hunderten Archivstücken auf – diese sind aber nicht chronologisch geordnet. In den „Mittheilungen aus dem Stadtarchiv von Köln“ gibt es zwar bereits eine Liste aus dem Jahr 1899, in der die Edikte gewissenhaft und umfangreich erfasst wurden – aber die Angabe, dass zum Beispiel das oben aufgeführte Edikt mit der laufenden Nummer 2992 versehen wurde und im Band 12 der Edikte unter der Folio-Nummer 138 aufzufinden wäre, macht es trotzdem nicht einfacher, sofort auf dieses Edikt zuzugreifen. Entweder man müsste sich den betreffenden Band vor Ort in den Lesesaal bestellen und händisch sichten, oder man öffnet sich das hochauflösende und farbige Digitalisat des jeweiligen Bandes, muss aber anschließend über den Viewer des Digitalen Lesesaals lange hin und her blättern bzw. mehrfach mit verschiedenen Seitennummern „herumprobieren“, bis man zum gewünschten Edikt kommt.
Unser aktuelles Kooperationsprojekt mit dem Archiv hat daher zum Ziel, in einem ersten Schritt Zugänge zu schaffen, um damit die künftige Erschließung der Edikte erheblich zu vereinfachen. Das Archiv hat die Bände, in denen wir Edikte aus den ersten Jahren der französischen Herrschaft ermitteln konnten, dankenswerterweise bereits für uns in hervorragender Qualität neu digitalisiert. Nun geht es darum, für jedes infrage kommende Edikt die jeweiligen Seiten im Scan zu ermitteln, um das Zeugnis direkt im Bestand ausfindig machen zu können. Dazu nehmen wir die Tabelle von 1899 und ergänzen die wertvolle Vorarbeit um einen digitalen „Anbau“:
Liste 1899 | Datum | Inhaltsbeschreibung | Band, fol. | Digitalisat | METS-Viewer |
2992 | 7.10.1794 | Manifest; Religions- und Bürgerschutz | 12, 138 | Link | [389] |
Wie funktioniert der Zugriff? Ganz einfach: Man muss lediglich den Link anklicken und im Viewer die in der letzten Spalte ermittelte Ziffer (hier also 389) eingeben – und voilà: Das Edikt ist auf dem Bildschirm! Auf diese Weise kommt man viel schneller und einfacher an die Quellen und kann sich zu unterschiedlichen Themen ein plastisches Bild dieser besonderen Kommunikation der städtischen Obrigkeit mit den Einwohner*innen der Stadt machen. Gerade arbeiten wir in unserem Oberseminar mit einer sehr motivierten Gruppe von Masterstudierenden an der umfangreichen Liste mit den Links und Seitenverweisen im Viewer für alle infrage kommenden Edikte dieser dynamischen Phase von 1789 bis 1797, die wir im Anschluss auch online veröffentlichen möchten. Zusätzlich sollten ausgewählte Edikte vorgestellt und kontextualisiert werden. In unserer gemeinsamen Arbeit haben wir schon so manchen „Schatz“ gehoben!
Wir sind uns daher sicher: In diesen Quellen steckt sehr viel Potential und der vereinfachte Zugang macht definitiv Lust auf mehr – für alle, die sich für die Stadt Köln im „Umbruch“ von 1794 interessieren. Das Jahr 2024, in dem sich dieses relevante Ereignis in der Stadtgeschichte zum 230. Mal jährt, ist aus unserer Sicht der ideale Anlass, diese aussagekräftigen Archivstücke neu zum Sprechen zu bringen und die Geschichte der Stadt in der wichtigen Phase der französischen Herrschaft weiter zu erkunden.
Zum Weiterlesen:
- Keussen, Hermann, Inhaltsverzeichniss zu den Sammlungen der Rathsedikte 1493–1819 (43), in: Mittheilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 29 (1899), S. 159–336.
- Müller, Klaus, Köln von der französischen zur preußischen Herrschaft. 1794–1815, Köln 2005, hier: Kapitel 1: Krieg und Besatzungsherrschaft (1794–1798), S. 11–49.
Titelbild: Collage Sebastian Schlinkheider – Screenshot Übersicht Edikte, Lehrstuhl Frühe Neuzeit; Auszug Edikt, HAStK, Best. 14, A 12, fol. 138.
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Sebastian Schlinkheider (11. Januar 2024). Köln 1794: „Sie kamen, sahen und siegten?“ – Eine Stadt wird französisch. Blog Zeitenblicke – Frühe Neuzeit Uni Köln. Abgerufen am 22. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/vkh2